Patientenvertreterin Stefanie Houwaart im Interview

Dr. Stefanie Houwaart ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des German Biobank Node (GBN) und vertritt die Perspektive von PatientInnen. Als Referentin ist sie im Haus der Krebs-Selbsthilfe Bundesverband e.V. tätig, darüber hinaus als Koordinatorin für den Beirat des BRCA-Netzwerks – Hilfe bei familiärem Brust- und Eierstockkrebs e.V. zuständig. Houwaart ist promovierte Biologin. Im Interview spricht sie über Ihre Arbeit als Patientenvertreterin, über die Information von BiomaterialspenderInnen über Forschungsergebnisse und über die Frage, wie PatientInnen die Nutzung von Bioproben durch Pharmaunternehmen sehen.

Frau Houwaart, worin besteht Ihre Rolle bei der Vertretung von PatientInnen?

Stefanie Houwaart: Als Referentin im Haus der Krebs-Selbsthilfe – Bundesverband e.V. und als Patientenvertreterin des BRCA-Netzwerks in den Gremien des Gesundheitssystems vertrete ich die Perspektive von an Krebs erkrankten Menschen und deren Angehörigen. Das kann in Bezug auf Themen sein, die alle Menschen mit einer Krebserkrankung betreffen, wie zum Beispiel Ernährung oder Psychoonkologie, aber auch hinsichtlich speziellerer Themen wie der Gendiagnostik. Dabei versuche ich ein möglichst umfassendes Stimmungsbild wiederzugeben, aber natürlich fließen auch meine persönlichen Erfahrungen und Meinungen ein. Wichtig ist, unsere PatientInnenperspektive immer wieder einzubringen, denn diese Aufgabe kann nur von den PatientInnen selbst wahrgenommen werden. Dabei sind wir ausschließlich uns selbst verpflichtet und Dank neutraler Finanzierung unabhängig von Partikularinteressen.

Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Meinungen unter PatientInnen um?

Houwaart: Ich finde es bereichernd, von all den unterschiedlichen Perspektiven zu erfahren. Man kann mitunter von der gleichen Grunderkrankung betroffen sein, die jeweiligen Lebensumstände, Prioritäten und Werte führen aber immer zu einem individuellen Erleben der Erkrankung, zu unterschiedlichem Umgang und natürlich auch zu unterschiedlichen Perspektiven. Diese gilt es differenziert abzubilden, was komplex ist, aber auch Spaß macht. Selbstverständlich diskutieren wir auch über die uns betreffenden Themen und versuchen uns gegenseitig für bestimmte Aspekte zu sensibilisieren. Nicht zuletzt müssen bei uns tragfähige Lösungen und Positionierungen ebenso konsentiert werden wie bei allen anderen Protagonisten des Gesundheitssystems auch.

Von „patient engagement“ und „empowerment“ hört und liest man oft. Welche Erwartungen haben Sie daran?

Houwaart: Ich denke, dass sich die Sensibilisierung erhöht hat, PatientInnnen einzubeziehen. Das geht in die richtige Richtung. Meine Erwartung daran ist, dass dies auch ernsthaft und nachhaltig betrieben wird. Das heißt zum einen, dass die PatientenvertreterInnen mit entsprechenden Mitteln und Kapazitäten ausgestattet und gestärkt werden, um diesen Anforderungen nachzukommen. Zum anderen, dass PatientInnen in Diskussionen als ebenbürtig wahrgenommen werden. Ich erlebe es manchmal, in Diskussionsrunden auf einmal nicht mehr einbezogen und fälschlicherweise als Laie wahrgenommen zu werden. Das ist umso erstaunlicher, als dass PatientInnen ja ExpertInnen in eigener Sache sind, deren Perspektive von niemand anderem als ihnen selbst eingenommen werden kann. Insgesamt tut sich also einiges, aber es ist auch noch viel Luft nach oben.

Unsere Befragung unter PatientInnen hat ergeben, dass die Motivation für Biomaterialspenden sehr hoch ist, aber das Wissen über Biobanken und deren Arbeit gering. Unsere Informationskampagne sorgt nun dafür, dass sich das ein Stück weit ändert. Gibt es andere Möglichkeiten, wie wir die Informationslage verbessern könnten?

Houwaart: Die Information wird zum großen Teil ganz praktisch von den Gesprächen mit dem klinischen Personal abhängen, denke ich. Der Berührungspunkt zu einer Biobank ergibt sich meist aufgrund eines medizinischen Eingriffs und daraus, dass bei dieser Gelegenheit Biomaterial gespendet werden kann. Darauf angesprochen und ausführlich aufgeklärt ist es dann sehr gut, wenn die potentiellen SpenderInnen den Weg zum Flyer und zur Website finden. Um die Zusammenarbeit im klinischen Bereich zu verbessern, wäre beispielsweise eine Festlegung in den Zertifizierungsprozessen der Deutschen Krebsgesellschaft denkbar, eventuell mit der Formulierung in den Erhebungsbögen: „PatientInnen sollen auf die Option, Biomaterial zu spenden, hingewiesen werden.“

Wollen PatientInnen, die Biomaterial gespendet haben, über Forschungsergebnisse informiert werden, die u.a. mithilfe ihrer Proben erzielt wurden?

Houwaart: Mit Verweis auf Ihre zweite Frage kann man das sehr gut mit „das hängt von der Person ab“ beantworten. Ich kann mir vorstellen, dass die meisten PatientInnen daran interessiert sind zu erfahren, was generell mit ihren Proben erforscht wurde, insbesondere wenn es um Erforschung ihres eigenen Krankheitsbildes geht. Wichtig finde ich diesbezüglich die Aufklärung vorab, dass man zwar generelle Ergebnisse rückmelden kann, aber zur persönlichen Probe eher keine Rückmeldung gegeben wird. Auch, dass die Forschung allen zugutekommt, allerdings mitunter nicht der einzelnen SpenderIn. Eine gestufte Information über die Forschungsergebnisse kann ich mir sehr gut vorstellen: eine knappe Variante in Form einer Zusammenfassung, eine etwas ausführlichere Variante, vielleicht sogar mit den Angaben, wie die Proben verarbeitet wurden und die Ergebnisse in detaillierterer Form, sowie als dritte Variante einen Link zur Originalpublikation der Forschungsergebnisse. Zusätzlich stelle ich mir Informationen darüber, wie Studien grundsätzlich ablaufen, interessant vor.

Welche Anforderungen sollte ein dafür vorgesehenes Online-Portal erfüllen und welche Services bieten?

Houwaart: Ein SpenderInnen-Account zum Beispiel auf der Website einer Biobank müsste höchste Anforderungen an Datenschutz und Verständlichkeit erfüllen. Die Anwendung muss einleuchtend, nachvollziehbar und verständlich sein - wichtig ist dabei auch immer eine Version in leichter Sprache für Menschen mit Leseschwächen oder für jene, die Deutsch als Zweit- oder Drittsprache sprechen. Zum Aufbau und den Services eines solchen Portals kann ich mir vorstellen, dass es auch hier vertiefende Informationen zu Biobanken gibt und dass Forschungsergebnisse vorgestellt werden. Zudem wäre wichtig, dass die Einwilligungserklärung eingesehen werden kann und eventuell sogar jederzeit modifiziert werden kann. Die Aufklärung sollte hier ebenfalls noch einmal einen großen Raum einnehmen, auch wenn die SpenderInnen bereits eingewilligt haben. Und nicht attraktiv für die Biobank, aber auch wichtig: die Möglichkeit zum Widerspruch.

Sind PatientInnen dafür offen, dass ihre Proben im Rahmen von Kooperationen auch durch Pharmaunternehmen genutzt werden? Wenn ja, zu welchen Bedingungen?

Houwaart: Das ist ein sehr sensibles Thema, welches wir immer wieder intensiv besprechen. Aus der Perspektive des Lebens mit erblichen Krebserkrankungen und der sich daraus ergebenden sehr komplexen Sach- und Lebenslage ist diese Frage nicht einfach zu beantworten. Bei der Nutzung von Biomaterial durch pharmazeutische Unternehmen wird es ja nicht dabei bleiben, dass beispielsweise Leberzellen auf bestimmte Proteinkonzentrationen hin untersucht werden, sondern im Zuge der Präzisionsmedizin wird sicherlich ebenfalls die DNA der Zellen sequenziert. Da stellen sich für uns jene Fragen, zum Beispiel, wo die erhobenen DNA-Daten gespeichert werden, wem diese Daten innerhalb des Unternehmens zugänglich sind, ob die Daten mitunter international ausgetauscht werden und ob die Daten vor dem Zugriff Dritter, etwa Behörden, geschützt sind. Gerade DNA-Daten sind besonders schützenswert, da sie viele Informationen preisgeben: zum Beispiel Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Erkrankungen oder Aussagen über Verwandte der SpenderInnen. Die Diagnostik von DNA-Sequenzen in der Forschung unterliegt dabei nicht dem Gendiagnostikgesetz. Wir befinden uns also aus Perspektive der SpenderInnen in einer rechtlich ungeklärten Situation. Daraus ergeben sich für uns viele Unsicherheiten, die gegen eine Nutzung des Biomaterials durch pharmazeutische Unternehmen sprechen.

Natürlich sehen wir aber auch, dass pharmazeutische Unternehmen forschen möchten und gerade wir als PatientInnen profitieren ja von den entwickelten Arzneien und Therapien. Wir befinden uns hier in einem auch für uns schwierigen Spannungsfeld. Sollten sich die Biobanken entscheiden, ihre Proben auch pharmazeutischen Unternehmen zugänglich zu machen, so ist dabei für die PatientInnen neben der umfassenden Aufklärung außerdem ein Höchstmaß an Transparenz erforderlich. Es müsste offen dargelegt werden, nach welchen Kriterien die Freigabe von Biomaterial an pharmazeutische Unternehmer erfolgt. Auch die Vergütung sollte offen kommuniziert werden. Entscheidend ist eine Anpassung des informierten Einverständnisses mit ausführlicher Aufklärung über die Nutzung der Biomaterialien durch pharmazeutische Unternehmen. Es muss für die PatientInnen ein unabdingbares Recht geben, einer Übertragung der Proben- an wen auch immer - widersprechen zu können. Konkret eventuell durch eine Ausschlussklausel, sodass sich PatientInnen dagegen entscheiden können, dass ihre Proben an pharmazeutischen Unternehmen weitergegeben werden.

Eine weitere Überlegung dazu ist, dass eine öffentlich finanzierte Biobank, die auch Proben an pharmazeutische Unternehmer abgibt, eine Alternative zu privaten Biobanken wäre, deren Strukturen für PatientInnen undurchschaubar sind und oftmals das Industrieinteresse nicht transparent ist. In dieser Hinsicht wäre es für PatientInnen sehr positiv, wenn die German Biobank Alliance mit öffentlicher Förderung weitergeführt werden würde.

Gibt es weitere Möglichkeiten, wie wir PatientInnen noch stärker in unsere Arbeit involvieren könnten?

Houwaart: PatientInnen sollten unserer Meinung nach in allen Aspekten und bei allen Fragestellungen involviert sein. Ich bin sehr dankbar, dass ich die PatientInnenperspektive im wissenschaftlichen Beirat der German Biobank Alliance einbringen kann und auch Gelegenheit hatte, bei dem Workshop „Meine Gene gehören mir!“ mitzuwirken. PatientInnen sind ebenso wie andere Fach- oder Interessengruppen Stakeholder, die einfach immer mit am Tisch sitzen sollten, wenn ein Vorhaben gut werden soll. Daher immer wieder gern das Angebot und die Einladung, uns als Experten der komplexen PatientInnenperspektive anzusprechen und in den Austausch zu treten.

 

Das Interview führte Verena Huth.

Stefanie Houwaarts Vortrag, den sie beim GBN-Workshop „Meine Gene gehören mir! Nutzung genomischer Daten von Probanden und Patienten“ am 3. Mai 2018 gehalten hat, können Sie hier nachhören.

Informationen zur Kampagne für BiomaterialspenderInnen finden Sie hier.

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Tel. +49. 30. 450 536 347


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