Dr. Martin Lablans (Copyright: TMF e.V.), Prof. Dr. Hans-Ulrich Prokosch (Copyright: Michael Rabenstein)

„Mit unserem IT-System machen wir Biomaterialproben wirklich verfügbar.”

Prof. Dr. Hans-Ulrich Prokosch (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) und Dr. Martin Lablans (Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg, DKFZ) leiten den Bereich IT der German Biobank Alliance (GBA). Gemeinsam mit einem IT-Core-Team sowie MitarbeiterInnen des IT-Basic-Teams an den verschiedenen Standorten der GBA, arbeiten sie an einer vernetzten IT-Infrastruktur für Biobanken. Im Interview sprechen Prokosch und Lablans über die Funktionsweise des Systems und den gegenwärtigen Stand der Entwicklung.

Herr Prokosch, Herr Lablans, mit Ihrer IT-Infrastruktur werden lokal vorhandene Proben-Daten zentral zur Verfügung stehen. Wie kann man sich das fertige System konkret vorstellen?

Prokosch: Unser System wird so aussehen: Wissenschaftler suchen über eine Web-Oberfläche nach Biomaterialproben mit bestimmten Merkmalen. Das Ergebnis zeigt, welche Biobanken, die an unser Netzwerk angebunden sind, über welche Anzahl von passenden Proben verfügen. Auf diese Weise können Wissenschaftler eine größere Anzahl von Proben für ein Forschungsprojekt zusammenbekommen, als das normalerweise an einem Standort allein möglich wäre. Mit unserem IT-System machen wir Biomaterialproben wirklich verfügbar.

Lablans: Hinter dieser einfach wirkenden Suchabfrage steht eine komplexe IT-Struktur: Aus lokalen Datenbeständen werden Teilinformationen extrahiert und in sogenannten Brückenköpfen zur Abfrage bereitgestellt. Aber das bleibt natürlich für den suchenden Forscher unsichtbar.

Das erinnert etwas an eine Literaturrecherche im Online-Katalog einer Uni-Bibliothek.

Prokosch: Dahinter steht ein ähnliches Prinzip, denn es gibt einen Katalog von Merkmalen, aus denen Sie wählen. Geht es bei uns zum Beispiel um tiefgefrorene Gewebeproben von Lungenkrebs-Patienten eines bestimmten Stadiums, werden diese Merkmale ausgewählt und in eine logische Abfrage zusammengebaut. Dieses Prinzip ist bei einer Abfrage in der PubMed-Datenbank nicht anders – nur erhalten Sie hier eine Anzahl von Literaturquellen und nicht von bestimmten Proben.

Lablans: Wichtig ist, dass wir die GBA-Suche in einen größeren Proben- und Projektvermittlungsprozess einbetten, der unter anderem auch die Möglichkeit einer persönlichen Beratung einschließt. Wenn also einem Forscher eine bestimmte Anzahl von Proben gemeldet wird, kann dieser in einen öffentlichen Dialog mit den betreffenden Biobanken treten. Die German Biobank Alliance steht hier nicht nur für IT, sondern auch für die Biobank-Mitarbeiter, die bei der Suche helfen und beraten.

Was meinen Sie mit „öffentlicher Dialog“?

Prokosch: Öffentlich heißt nicht, dass die ganze Welt daran beteiligt ist. Nur diejenigen Biobanken werden einbezogen, die diesem Forscher Proben liefern könnten. Nennen wir sie „Kandidaten-Biobanken“.

Lablans: Wenn eine Biobank einem Forscher eine Nachfrage stellt, zum Beispiel: „Brauchen Sie für Ihre Untersuchung zwingend eine Kryo-Probe?“, dann sehen alle Kandidaten-Biobanken diese Frage und auch die Antwort. So vermeiden wir, dass mehrere Biobanken die gleiche Frage stellen und der Forscher mehrfach antworten muss.

Prokosch: Wobei es natürlich den Mitarbeitern jeder Biobank und dem Forscher selbst überlassen bleibt, wann sie in einen privaten Dialog wechseln möchten.

Ein zentraler Begriff der IT-Infrastruktur ist der schon genannte „Brückenkopf“. Was verbirgt sich dahinter?

Lablans: Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich auf einer Insel, zu der eine Brücke führt: Sie können kontrollieren, wer über diese Brücke gehen darf. Auf unsere IT-Infrastruktur übertragen bedeutet dieses Bild, dass Sie die Daten auf Ihrer Insel behalten, obwohl Sie ein Netzwerk betreten.

Prokosch: Der Brückenkopf ist die lokale Installation, über die ein GBA-Standort seine Daten über eine Brücke in ein Netzwerk fließen lassen kann – oder eben auch nicht.

Lablans: Wir haben bereits einige wissenschaftliche Artikel zum „Brückenkopf“ veröffentlicht und ihn in anderen Netzwerken eingesetzt. So ist eine Art Marke entstanden, denn es handelt sich um eine Open-Source-Technologie, die weiterverwendet werden kann. Der „Brückenkopf“ ist auf diese Weise zu einem Überbegriff für lokale Data Warehouses mit Vernetzungsansatz geworden.

Angenommen meine Biomaterialprobe und zugehörigen Daten werden aufgenommen. Wo sind diese in der IT-Struktur „verortet“? Wer hat Zugriff darauf?

Prokosch: Das kommt darauf an. Bei einer Probenspende müssen Sie als erstes eine Einwilligung unterschreiben. Dieses Dokument legt fest, wo Ihre Daten liegen und wo sie hinbewegt werden dürfen. In der Regel befinden sie sich an dem Ort, an dem sie erhoben werden. Es gibt natürlich unterschiedliche Typen von Biobanken: Bei klinischen Biobanken liegen die Daten meist im Dokumentationssystem des jeweiligen Krankenhauses, in dem die Patienten in Behandlung sind. In einer populationsbezogenen Biobank oder der Biobank einer bestimmten Studie werden diese Daten in einem Studien-Datenbanksystem abgelegt. Ob die Daten – in pseudonymisierter Form – jemals die genannten Orte verlassen dürfen, hängt davon ab, ob Sie darin eingewilligt haben.

Was bedeutet hier „pseudonymisiert“?

Prokosch: Grundlegende identifizierende Daten zu Ihrer Person, wie beispielsweise Ihr Name, Vorname, Geburtsdatum sowie Ihre Adresse und Kontaktdaten werden in keinem Fall weitergegeben. Ein Pseudonym ersetzt Ihren Namen: Dafür verwenden wir Zahlen- und Buchstabenfolgen.

Auch BBMRI-ERIC arbeitet an einem IT-System für eine zentralisierte Suchabfrage nach Biomaterialproben. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?

Prokosch: Wir sind in enger Abstimmung miteinander und versuchen – wenn möglich – gleiche Komponenten einzusetzen. Auf europäischer Ebene spielen natürlich die verschiedenen Landessprachen eine Rolle. Aber einige Grundkomponenten können sowohl im GBA-Konzept als auch im europäischen verwendet werden. Schließlich ist es im Sinne der Biobanken, dass sie für das deutsche und das europäische Netzwerk nicht vollkommen unterschiedliche IT-Komponenten installieren und betreiben müssen. Und auch im Sinne der Forscher, die innerhalb Deutschlands und Europas nach Proben suchen.

Die Medizininformatik-Initiative nimmt jetzt ihre Arbeit auf – Sie sind Leiter des MIRACUM-Konsortiums. Welche Berührungspunkte gibt es zwischen MII und GBA?

Prokosch: In vielen Aspekten gibt es ähnliche Probleme und Herausforderungen. Wichtig ist zum Beispiel, dass wir unsere Basisdatensätze aufeinander abstimmen – es würde überhaupt keinen Sinn machen, unterschiedliche Datenbeschreibungen zu wählen. In GBA haben wir bereits auf Basis internationaler Vorarbeiten einen Kardiologie- und einen Onkologie-Datensatz entwickelt. In dieser Hinsicht sind wir etwas weiter als die MII. Hier gilt es, sich über diese Datensätze auszutauschen. Ein gemeinsames Treffen mit Vertretern der MII ist im zweiten Quartal 2018 geplant.

Letzte Frage: Wie ist der gegenwärtige Stand der Dinge?

Lablans: Alle GBA-Standorte haben bereits eine vorläufige Software-Version des „Brückenkopfs“ erhalten und sind dabei, diese mit Daten zu befüllen. Damit ist bisher keine Biobank fertig, aber auf Basis eines kleinen Datensatzes können schon Suchen durchgeführt werden.

Prokosch: Dieser Datensatz dient momentan mehr als „proof of concept“, um die technischen Möglichkeiten zu zeigen. Das würde noch keinen Wissenschaftler, der nach Bioproben sucht, zufrieden stellen. Um das zu erreichen, müssen noch klinische Parameter ergänzt und weitergehende Datensätze eingelagert werden.

Lablans: Wir werden die Datensätze sukzessive um medizinische Disziplinen erweitern und ihren Detailgrad erhöhen. Zum Beispiel hat das Deutsche Zentrum für Lungenforschung (DZL) bereits einen umfangreichen eigenen Kerndatensatz definiert. Wir wollen daher mit dem DZL in einen Dialog treten, um einen gemeinsam abgestimmten Datensatz zu erarbeiten.

Prokosch: Im Herbst 2018 wird eine User-Gruppe die Funktionalitäten des prototypischen Systems testen – danach entscheiden wir, ob wir das System veröffentlichen oder nachjustieren.

 

Das Interview führte Verena Huth.

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