Im Interview: Prof. Dr. Leif Erik Sander

Gibt es zu wenige Bioproben für die vielen Covid-19-Forschungsprojekte? Nein, sagt Prof. Dr. Leif Erik Sander von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité  Universitätsmedizin Berlin. Sander forscht selbst zu Covid-19 und ist gleichzeitig Mitglied des „Corona Research Board“, das alle Aktivitäten an der Charité koordiniert. GBN hat mit ihm über seine Forschung und das Biobanking dafür sowie über seine Tätigkeit im Research Board gesprochen.

Woran arbeiten Sie gerade in Bezug auf Covid-19?

Leif Erik Sander: An der Charité und in ganz Berlin arbeiten wir daran, die Krankheitsverläufe von allen Patienten mit Covid-19 zu charakterisieren. Dabei interessieren uns zum Beispiel mögliche Vorerkrankungen und Risikofaktoren der Patienten. Wir nehmen ihnen alle zwei Tage verschiedene Arten von Bioproben ab und führen daran Messungen durch. Um die Lagerung der Proben und das gesamte Biobanking kümmert sich die Zentrale Biobank der Charité. Wir erforschen die Pathophysiologie der Erkrankung und sind auf der Suche nach neuen Biomarkern, um Krankheitsverläufe besser vorhersagen zu können. Daneben betrachten wir die Immunantwort gegen das Virus: Offenbar hat diese nämlich etwas damit zu tun, dass manche Patienten schwerere Verläufe erleiden. Unser Ziel ist es außerdem, neue therapeutische Ansätze zu entwickeln.

Wie groß ist die Patienten-Kohorte inzwischen?

Sander: Wir sind jetzt bei 130 Patienten. Mittlerweile nehmen sämtliche Stationen der Charité, die COVID-19-Erkrankte behandeln, an der Studie teil. Weitere Berliner Krankenhäuser und Standorte wollen sich ebenfalls beteiligen. Glücklicherweise bewirken die Beschränkungen im öffentlichen Leben, dass sich die Zahl der Patienten auch an der Charité aktuell stabilisiert hat oder sogar leicht abnimmt. Ich vermute allerdings, dass diese Zahl in den nächsten Wochen wieder steigen wird. Zum einen, weil die Beschränkungen gelockert wurden, und zum anderen ganz einfach, weil sich die Epidemie weiterentwickelt.

Liegen Ihnen schon erste Forschungsergebnisse vor?

Sander: Wir haben in Kooperation mit Professor Ralser aus dem Institut für Biochemie proteomische Untersuchungen durchgeführt, die uns auf eine ganze Reihe von Markern aufmerksam gemacht haben. Dank unseres breit angelegten Ansatzes hat dafür schon die zu diesem Zeitpunkt noch relativ überschaubare Kohortengröße ausgereicht. Wir validieren die gefundenen Marker nun in einer zweiten Phase, damit sie als Biomarker in der Klinik auch eingesetzt werden können. Die Marker liefern uns jedoch nicht nur Hinweise zu Krankheitsverläufen, sondern auch darauf, in welche Richtungen wir bei künftigen Therapien denken müssen. Denn wir müssen uns für bestimmte Strategien - an der Charité und bundesweit - entscheiden und können nicht alle Ansätze ausprobieren.

Was sind weitere zentrale Forschungsfragen für Sie?

Sander: Eine der wichtigsten ist meiner Meinung nach, ob eine Infektion mit SARS-CoV-2 eine bleibende Immunität hinterlässt und ob diese auch für lange Zeit Schutz bietet. Ob dies der Fall ist oder nicht, wird den Verlauf der Pandemie stark beeinflussen. Wir sind bereits dabei herauszufinden, gegen welche Strukturen im Virus sich eine protektive Immunität richtet und woran es liegt, wenn keine ausgebildet wird. Aus diesen Erkenntnissen können wir möglicherweise eine Impfstrategie ableiten, die sich auch hoffentlich schnell entwickeln lässt.

Worauf kommt es aus Ihrer Sicht bei der Sammlung von Bioproben für Covid-19-Studien an?

Sander: Eine breit angelegte Sammelstrategie ist auf jeden Fall empfehlenswert. Man sollte also nicht nur Serum, sondern auch verschiedene Formen von Plasma sowie zelluläre Bestandteile sammeln. Außerdem ist es wichtig, noch einmal Proben abzunehmen, wenn der Patient wieder genesen ist. Das erlaubt später beispielsweise Erkenntnisse über seine Immunität. Worauf in der Vergangenheit bei großen Krankheits- oder Populationskohorten eher verzichtet wurde, ist die Asservierung lebender Zellen. Diese halte ich jedoch für ganz besonders wichtig. In unserer Kohorte haben wir gleich beim ersten Patienten damit begonnen. Alle zwei Tage frieren wir seitdem lebende Blutzellen ein. Wir haben zudem spezielle Puffer, mit denen auch sehr gute Asservationen von Vollblut gelingen. Durch proteomische oder durchflusszytometrische Analysen können wir später die Zusammensetzung und Aktivierungsprofile des peripheren Bluts untersuchen. Wir sind zudem in der Lage, durch Einsatz moderner Einzelzell-Sequenzierungen spezifische transkriptionelle Signaturen zu entschlüsseln. Etwas Vergleichbares hat es aus meiner Sicht in einem so großen Stil für andere Erkrankungen und Kohorten noch nicht gegeben.

Welche weiteren Probenarten könnten noch für zukünftige Forschungsfragen interessant werden?

Sander: Es ist die hohe Kunst des Studiendesigns und des Biobankings, sich möglichst alle Optionen für spätere Analysen offen zu halten. Deshalb ist die breite Sammelstrategie so wichtig. Darüber hinaus denke ich, dass die Asservierung von Gewebe sinnvoll ist. Mit Gewebe meine ich Proben oder vielleicht sogar Zellen aus den Atemwegen. Blut kann man zwar relativ einfach bekommen, ist aber nur ein Baustein.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Covid-19-Forschung in den kommenden Wochen und Monaten?

Sander: Zunächst kommt es meines Erachtens darauf an, auf die richtigen Therapien zu setzen. Was können wir für möglichst viele Menschen schnell verfügbar machen und dafür sorgen, dass weniger Patienten schwer erkranken oder gar versterben? Zweitens brauchen wir einen Impfstoff - und zwar nicht Ende nächsten Jahres, sondern viel eher. Das erfordert eine große Kraftanstrengung und vermutlich auch unkonventionelle Wege. Dafür sehe ich alle, die in der Forschung tätig sind, in der Pflicht und aufgerufen, sich gemeinsam dafür einzusetzen.

Sie sind Mitglied des Corona Research Board der Charité. Wie stellen Sie das gemeinschaftliche, abgestimmte Vorgehen im Klinikum sicher?

Sander: Unser interdisziplinär besetztes Board berät sich regelmäßig über die Vorhaben von Charité-Wissenschaftlern, die diese über ein zentrales Register anmelden. Wir wägen ab, wie aussichtsreich die Projekte sind, ob es überhaupt passende Patienten dafür gibt und wie schnell sie umsetzbar wären. Wir verbringen also ziemlich viel Zeit mit Besprechungen, aber das ist gut investierte Zeit, weil es für Transparenz innerhalb der Charité sorgt und wir breiten Input bekommen. Es ist wirklich beindruckend zu sehen, was mobilisiert werden kann, wenn alle an einer Sache arbeiten.

Angesichts der Vielzahl von Forschungsaktivitäten sorgen sich Biobanken mitunter, dass Konkurrenz um die dafür quantitativ nicht ausreichenden Proben entstehen könnte. Wie gehen Sie damit um?

Sander: Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass die vorhandenen Proben nicht ausreichen. Wir bekommen im Research Board zwar sehr viele Vorschläge für Forschungsprojekte, aber mit guter Koordination kommen wir mit dem vorhandenen Probenmaterial auch hin. Wenn wir im Board beispielsweise feststellen, dass zwei Wissenschaftler etwas Ähnliches planen, versuchen wir, diese Vorhaben zusammenzuführen. Mit einem multi-omischen Ansatz erhält man so viele Informationen, dass es nicht notwendig ist, einzelne Parameter zu messen. Auf diese Weise kommt man auch mit relativ wenig Material zu vielen Informationen. Und die grundlegende Voraussetzung zur Teilnahme bei uns besteht darin, die eigenen Ergebnisse offen und zeitnah zur Verfügung zu stellen. Das entspricht dem jetzigen Auftrag an die Universitätsklinika.

Möchten Sie den Biobanken aus Forschersicht noch etwas auf den Weg geben?

Sander: Zurzeit zählt wirklich Geschwindigkeit. Und das nicht, um sich in einem Konkurrenzkampf durchzusetzen, sondern um sein erworbenes Wissen zu teilen. Groß angelegte Initiativen sind begrüßenswert, die Frage aber ist, ob sie schnell genug realisiert werden können, um das jetzt dringend benötigte Wissen zu generieren. Meiner Meinung nach müssen die Biobanken zunächst mit ihren lokalen wissenschaftlichen Netzwerken zusammenarbeiten, damit Erkenntnisse so rasch wie möglich gewonnen werden können. Wenn die großen Netzwerke und Kohorten aufgestellt sind, hilft uns das sicher noch, um zum Beispiel die Langzeitwirkungen der Covid-19-Erkrankung zu verstehen. Aber die Hauptaufgabe liegt in den nächsten Wochen und Monaten vor uns.

 

Das Interview führte Verena Huth.

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