Prof. Dr. Thomas Illig und Univ.-Prof. Dr. Jörg Janne Vehreschild

LEOSS: Interview mit Thomas Illig und Janne Vehreschild

Das LEOSS-Register dokumentiert klinische Daten von SARS-CoV-2-infizierten PatientInnen. Die Abkürzung steht für „Lean European Open Survey for SARS-CoV-2 Infected Patients“ und damit für ein europäisches Modell der freien, anonymen Dateneingabe. Alle gesammelten Daten stehen der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur gemeinsamen Analyse zur Verfügung. LEOSS entstand auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF). Koordinator Prof. Dr. Jörg Janne Vehreschild, DZIF-Wissenschaftler am Universitätsklinikum Köln, arbeitet nun an der Erweiterung zu einer deutschlandweiten Kohortenstudie. Vehreschild und Prof. Dr. Thomas Illig, stellvertretender Leiter des German Biobank Node (GBN) und inzwischen Biobanking-Verantwortlicher bei LEOSS, sprechen im Interview über ihre Pläne.

Wie ist das LEOSS-Register entstanden?

Janne Vehreschild: Gemeinsam mit meinem Team wollte ich eine Alternative zu dem sehr ausführlichen WHO-Fragebogen zum Intensivaufenthalt von Covid-19-Patienten schaffen. Einen kompakteren Fragebogen, der gleichzeitig der europäischen Bevölkerung gerechter wird. Wir haben detaillierte Fragen zu Komorbiditäten und zum frühen Krankheitsverlauf integriert, um Merkmale zu identifizieren, die überhaupt eine intensivmedizinische Behandlung notwendig machen. So ist die „Lean European Open Survey“ entstanden. Seit Anfang März haben verschiedene Kliniken darin Angaben zu knapp 2.500 Patienten dokumentiert.

Wie geht es jetzt weiter?

Vehreschild: Auf Initiative des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung und gemeinsam mit den anderen Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung sowie mehreren Biobanken soll daraus eine professionelle Kohorte entstehen. Dafür haben wir aus dem ursprünglichen LEOSS-Register für die klinische, epidemiologische Erfassung „LEOSS.core“ gemacht und zusätzlich „LEOSS.deep“ eingeführt, um die Epidemiologie mit den Bioproben zu verbinden. Inzwischen sind wir also nicht mehr ganz so „lean“, sondern ziemlich gehaltvoll und heißen übergreifend „Longitudinal European Open Study“. Einen Förderantrag für diese Studie haben wir Ende April eingereicht.

Was planen Sie in der kommenden Phase des Projekts?

Thomas Illig: Innerhalb von drei Jahren wollen wir deutschlandweit 20.000 Personen in unsere Studie einschließen - 10.000 nehmen wir Bioproben ab, von den anderen 10.000 werden ausschließlich Daten erhoben. Wir beteiligen sowohl Covid-19-Erkrankte als auch eine Kontrollgruppe. Unter den Patienten sollen unterschiedlich schwer Erkrankte jeglichen Alters und Geschlechts sein. Diese Patienten sehen wir bis zu viermal, wenn sie in der Klinik sind, und auch noch einmal, wenn sie wieder gesund sind. Für die Kontrollgruppe suchen wir möglichst Personen mit Atemwegsinfekt, die negativ auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Auf diesen Informationen aufbauend ist es unser Ziel, abhängig vom Schweregrad der Symptome klinische Phasen zu definieren. Wir möchten erfahren, warum jemand ernsthafter erkrankt und ein anderer eine Infektion gar nicht bemerkt. Warum muss jemand beatmet werden und warum versterben manche Patienten sogar? Daneben interessieren uns auch die Langzeitfolgen.

Vehreschild: LEOSS wird uns auch Rückschlüsse darauf erlauben, wie wirksam Interventionen sind. Gleichzeitig können wir Hypothesen für die Grundlagenforschung entwickeln: Was sind sinnvolle Targets, welche Ansätze sollte man verfolgen? Mit Blick auf die klinische Forschung geht es uns darum, „Feasibility-Studies“ durchzuführen. Auf diese Weise können wir bei der Studienplanung beraten oder gar „passende“ Patienten für bestimmte Studien ausfindig machen.

Mit welchen Institutionen und Initiativen kooperieren Sie?

Illig: Zunächst einmal konnten wir alle DZG für LEOSS gewinnen, worüber wir uns sehr freuen. Für mich persönlich ist außerdem die Einbindung von German Biobank Node und German Biobank Alliance eine besonders schöne Nachricht. Biobanken der GBA sind gleichzeitig an vielen DZG-Standorten vertreten. In GBN/GBA haben wir wichtige Strukturen für hochqualitatives Biobanking geschaffen, die SOPs und Verfahrensweisen der verschiedenen Biobanken harmonisiert. Insbesondere für molekulare Fragestellungen werden Proben von vergleichbarer Qualität benötigt, deshalb ist ein einheitliches Bioproben-Programm für LEOSS so wichtig. Schön wäre jetzt natürlich, wenn unsere Initiative schnell gefördert werden könnte.

Vehreschild: Wir arbeiten auch eng mit der Medizininformatik-Initiative und dem Nationalen Covid-19-Forschungsnetzwerk zusammen. Die DECOI-Gruppe spielt ebenfalls eine Rolle: Dort hat sich das Who-is-who aus dem Omics-Bereich zusammengeschlossen und plant auch die Sequenzierung von Probenmaterial von LEOSS-Teilnehmern. Wir kooperieren darüber hinaus mit einer Reihe von Fachgesellschaften und arbeiten an Analysen und Zusatzfragebögen - zum Beispiel mit den Deutschen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie, Kardiologie, Neurologie und für pädiatrische Infektiologie. Dass wir so einen engen Schulterschluss mit vielen Fachgesellschaften haben und auf erfolgreiche Infrastrukturen wie den DZG und GBN/GBA aufbauen können, ist eine große Stärke des Projekts.

Welche Arten von Bioproben wollen Sie sammeln?

Illig: Um Plasma zu gewinnen und DNA zu isolieren, sammeln wir erst einmal EDTA-Blut. Das ist für genetische und post-genetische Untersuchungen wichtig. Da Gerinnungsfaktoren bei Covid-19 eine Rolle zu spielen scheinen, sammeln wir außerdem Citrat-Plasma, an dem man dies besonders gut untersuchen kann. Für funktionelle Ansätze haben wir lebende Zelle in das Programm aufgenommen und um Transkriptom-Analysen zu ermöglichen, haben wir uns für PaxGene-Tubes entschieden, in denen man RNA hochstandardisiert lagern kann. Außerdem nehmen wir Abstriche entweder aus der Nase oder dem Rachenraum ab. Auch Sputum und BAL sind möglich. Urin sammeln wir ebenfalls, weil es viele Hinweise darauf gibt, dass bei Intensivpatienten die Nieren sehr leiden.

Wer kann auf Proben und Daten aus LEOSS zugreifen?

Illig: Damit Forscher Zugang zu den Proben und Daten erhalten können, muss es natürlich klare Regeln geben. Wir werden deshalb schnellstmöglich Use & Access-Komitees ernennen. Für Standorte, die Proben und Daten beitragen, soll es bei Forschungsanträgen auch ein Vetorecht geben. Prinzipiell sind diese Proben und Daten aber für jeden Wissenschaftler der Welt zugänglich.

 

Das Interview führte Verena Huth.

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