ELSI

Neue Technologien verändern das Biobanking in den nächsten Jahren grundlegend.

Das wirft viele ethische, rechtliche und soziale Fragen auf, die im Dialog mit Wissenschaftler*innen, Patient*innen, Datenschützer*innen und der Öffentlichkeit gelöst werden müssen.

Im Interview: Roland Jahns

„Spender müssen in die Lage versetzt werden, ihre Rechte wirksam wahrzunehmen“

 

Prof. Dr. Roland Jahns ist beim German Biobank Node (GBN) für ELSI – Ethical, Legal and Social Issues – zuständig. Zudem ist er Direktor der Interdisziplinären Biomaterial- und Datenbank Würzburg (ibdw) und Mitglied der Arbeitsgruppe „Biobanking“ des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland.

Prof. Jahns, mit der zunehmenden Zentralisierung und internationalen Ausrichtung von Biobanken sind ganz neue ethische Fragestellungen verbunden. Welche sind das?

Biobanken bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen den Interessen der medizinischen Forschung und den Rechten und Interessen der Spender, die in Einklang gebracht werden müssen. Ethische Gesichtspunkte spielen bei dieser Interessen-Abwägung eine große Rolle. Der langfristige Erfolg einer zentralisierten Biobank hängt – neben organisatorischen Herausforderungen – ganz wesentlich von der Bereitschaft der Patienten und Probanden ab, Proben und Daten für möglichst viele verschiedene medizinische Forschungszwecke zu spenden. Das ist heute durch eine weit gefasste Einwilligung (Broad Consent) statthaft. Diese hat aber eine ganz andere Dimension als die in der Vergangenheit für biologische Materialien meist verwendete rein studienspezifische Einwilligung (informed consent). Den Patienten muss jedoch erklärt werden, warum ein Broad Consent für die medizinische Forschung sinnvoll und notwendig ist.

Die Internationalisierung der Biobanken wirft neben organisatorischen vor allem datenschutzrechtliche Fragen auf. Insbesondere personenbezogene Daten müssen ausreichend geschützt werden. Die internationale Vernetzung moderner Biobanken hat wissenschaftlich aber ein besonderes Potenzial, von dem man sich große Fortschritte erhofft, beispielweise durch höhere Fallzahlen bei seltenen Erkrankungen.

Gibt es nationale oder internationale Empfehlungen, an denen sich Biobanken bei ELSI-Fragen orientieren können?

Die Deklaration von Helsinki ist international als Framework bindend. Daneben gibt es die Deklaration der World Medical Association (WMA), die sich auch zum ethisch korrekten Umgang mit Bioproben und Daten in Forschungsprojekten äußert. Die OECD-Empfehlungen liefern sogar konkrete Anhaltspunkte dafür, wie mit humanem Proben und Daten umzugehen ist.

Auf nationaler Ebene hat der Deutsche Ethikrat (DER) entsprechende Empfehlungen herausgegeben. Neben dem DER ist in Deutschland unbedingt auch die TMF zu nennen, die Checklisten und Leitfäden zu Einwilligungsdokumenten und juristischen Fragen im Forschungskontext veröffentlicht hat. Zudem hat der Arbeitskreis medizinischer Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland (AKEK) 2013 erstmals Mustertexte und Handreichungen zu ethischen Aspekten im Biobanking herausgegeben. Der überarbeitete Mustertext für einen Broad Consent für Biobanken wurde im Juni 2016 verabschiedet. Er bietet eine Formulierungshilfe sowohl für projektspezifische Probensammlungen, als auch für Probensammlungen mit noch unbestimmtem Forschungszweck.

Biobanken lagern zunehmend langfristig Proben und Daten für zukünftige Forschungsprojekte, deren Zweck heute noch nicht bekannt ist. Wie werden bei einem solchen Broad Consent die Patientenrechte geschützt?

Die Diskussion um den Broad Consent ist hochaktuell und es war lange strittig, ob er überhaupt zulässig ist. Ein Broad Consent ist heute allgemein akzeptiert, wenn die Empfehlungen des DER eingehalten werden. Je breiter eine Einwilligung gefasst ist, umso mehr muss das Vertrauen der Spender gewonnen werden. Die Aufklärung muss seriös und transparent – insbesondere über die Unsicherheit der konkreten zukünftigen Verwendung – erfolgen. Spender leisten ja einen großen Vertrauensvorschuss, indem sie Zugang zu ihren sensiblen Gesundheitsdaten ermöglichen. Daher sind auch die Verfahrensweisen und Regeln einer Biobank sowie ihre wissenschaftlichen und öffentlichen Aktivitäten transparent darzustellen. Spender sollten sich jederzeit über die Biobank und die Verwendung ihrer Proben informieren können. Zudem müssen Spender in die Lage versetzt werden, ihre in den Datenschutzgesetzen garantierten Rechte, wie das Widerrufsrecht wirksam wahrzunehmen. 

Studien weltweit haben gezeigt, dass viele Patienten eine Rückmeldung von Forschungsergebnissen bei Zufalls- bzw. Zusatzbefunden wünschen. Wie können Biobanken mit dieser Erwartungshaltung umgehen und welche rechtlichen Rahmenbedingung gilt es zu beachten?

Im reinen Forschungskontext ist eine Rückmeldung von Zufalls- bzw. Zusatzbefunden nur in abwendbaren lebensbedrohlichen Situationen vorgesehen. Wird eine behandelbare Erkrankung festgestellt, dann besteht bei Ärzten eine berufsrechtliche Verpflichtung, den Kontakt zu den Spendern zu suchen. Eine Rückmeldung gesundheitsrelevanter genetischer Befunde fällt dann aber unter das Gendiagnostikgesetz  und erfordert die Hinzuziehung eines Humangenetikers. Für ethisch problematisch halte ich es jedoch, wenn Forschungsergebnisse völlig ungefiltert an Patienten zurückgespielt werden. Angenommen jemand bekäme die Information, dass er ein 20-prozentiges Risiko hat, mit 80 Jahren an Alzheimer zu erkranken – was soll er mit dieser Information dann anfangen? So verständlich der Wunsch ist zu erfahren, was bei genetischen Analysen herausgefunden wurde, so sehr können Ergebnisse einen Spender auch verunsichern. Eine allgemeine Rückmeldung zu Forschungsthemen die von der jeweiligen Biobank unterstützt werden, halte ich für sinnvoll, eine individuelle Rückmeldung von Forschungsergebnissen jedoch nicht.

Welche ethischen Herausforderungen ergeben sich zukünftig daraus, dass Biobanken zu Serviceplattformen für die Forschung werden, die nicht nur national, sondern auch international Daten austauschen?

Innerhalb Europas arbeiten Initiativen wie BBMRI-ERIC mit dem Common Service ELSI daran, dass die datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen definiert werden, unter denen Biobanken bi- oder multilateral Proben austauschen können. Das brauchen wir dringend, um Serviceleistungen für europaweit aufgestellte Konsortien zu erfüllen. Wunsch wäre, dass zumindest innerhalb Europas pseudonymisierte Datensätze ohne Probleme ausgetauscht werden können und EU-Ethikkommissionen ihre Voten gegenseitig anerkennen. Die neue EU-Datenschutzgrundverordnung könnte dazu beitragen, den Rechtsrahmen dafür zu standardisieren und zu harmonisieren.

Wie wird beim Austausch von genomischen Daten bzw. bei sehr seltenen Erkrankungen die Anonymität der Patienten gewährleistet?

Die meisten genetischen Untersuchungen erfolgen nur an einem bestimmten Gensegment, sodass die Anonymität eines Spenders in der Regel immer gewährleistet werden kann. Kleine Genabschnitte sind bei ganz vielen verschiedenen Menschen fast identisch, so dass es praktisch unmöglich ist, aus den Ergebnissen auf eine Einzelperson zu schließen. Etwas problematischer ist das bei Analysen des (kompletten) Genoms. Für die Offenlegung oder den Austausch eines Genoms ist gemäß Empfehlungen des AKEK eine individuelle Einwilligungserklärung des Spenders einzuholen.

 

Das Interview führte Wiebke Lesch.

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