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Neue Technologien verändern das Biobanking in den nächsten Jahren grundlegend.

Das wirft viele ethische, rechtliche und soziale Fragen auf, die im Dialog mit Wissenschaftler*innen, Patient*innen, Datenschützer*innen und der Öffentlichkeit gelöst werden müssen.

Im Interview: Jochen Taupitz

„Ob und von welchen Zusatzbefunden Betroffene erfahren, sollte vor einem medizinischen Forschungsprojekt unbedingt vereinbart werden.“

 

Prof. Dr. Jochen Taupitz ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des German Biobank Node (GBN) und der German Biobank Alliance (GBA). Taupitz ist Jurist, spezialisiert auf Medizinrecht sowie Medizinethik und seit 1989 Professor an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Mannheim. Bis 2016 war er stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Im Interview spricht er über die Herausforderungen bei der Rückmeldung von „Zusatzbefunden“ aus der medizinischen Forschung – ein Thema, das er aus juristischer Sicht beim GBN-Workshop „Meine Gene gehören mir! Nutzung genomischer Daten von Probanden und Patienten“ am 3. Mai 2018 erläuterte.

Herr Taupitz, wie definiert man einen „Zusatzbefund“ in der medizinischen Forschung?

Jochen Taupitz: Dabei handelt es sich um einen Befund beispielsweise aus der universitären Forschung, der zufällig erhoben wird und nicht mit der eigentlich verfolgten Fragestellung zusammenhängt. Solche Zusatzbefunde wird es künftig häufiger geben, da gesamtgenomische Analyseverfahren und bildgebende Methoden, wie zum Beispiel das Ganzkörper-MRT, weiterentwickelt werden. Den Begriff „Befund“ sollte man allerdings zurückhaltend gebrauchen, denn darunter versteht man medizinisch relevante Erscheinungen, Veränderungen oder Zustände. Bei vielen Zusatzergebnissen ist gar nicht klar, ob sie medizinisch relevant sind.

Warum können tatsächliche Zusatzbefunde – mit medizinischer Relevanz – nicht einfach an Betroffene zurückgemeldet werden?

Taupitz: Aus ethischer Sicht geht es hier um den Spagat zwischen Fürsorgeprinzip und Nichtschadensprinzip. Auf der einen Seite könnte das entsprechende Wissen dem Betroffenen eine Therapie oder Prävention ermöglichen, ihm also erheblich nützen. Auf der anderen Seite könnte ihn dieses Wissen auch sehr belasten. Aus juristischer Sicht geht es um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Daraus folgt für den Betroffenen sowohl das Recht, die herausgefundenen Fakten zu kennen, als auch ein Recht auf Nichtwissen.

Was regelt das Gendiagnostikgesetz?

Taupitz: Das Gendiagnostikgesetz betrifft die Krankenversorgung und gibt vor, dass ein Patient vor einer genetischen Untersuchung aufgeklärt wird über das, was möglicherweise auf ihn zukommt. Erst wenn der Patient sein Einverständnis gegeben hat, wird die genetische Diagnostik durchgeführt. Das Gesetz legt außerdem fest, dass ein Arzt den Patienten berät, falls ein auffälliger Befund vorliegt. Das Gendiagnostikgesetz betrifft also die Mitteilungen, die der Patient erhält, und dient dazu, sein Selbstbestimmungsrecht zu stärken.

Ist das Gendiagnostikgesetz auf die medizinische Forschung anwendbar?

Taupitz: Das Gesetz gilt nicht für genetische Untersuchungen zu Forschungszwecken. Man geht hier schließlich nicht davon aus, dass etwas medizinisch Relevantes für Einzelne herauskommt. Trotzdem kommt es vor, dass ein Forscher zufällig beispielsweise eine Genmutation entdeckt, bei der eine Therapie möglich sein könnte. Wenn der Befund dem Betroffenen mitgeteilt werden soll, verlässt dieser den „Forschungsraum“ und unterliegt damit den Vorschriften des Gendiagnostikgesetzes. Das Gesetz verpflichtet allerdings keinen Wissenschaftler dazu, über Ergebnisse zu informieren.

Ist es denn im Interesse der ForscherInnen und der Biobanken, Zusatzbefunde den Betroffenen mitzuteilen?

Taupitz: Im Gegenteil. Denn häufig sind dafür weitere, kostenintensive Abklärungen notwendig, beispielsweise durch Humangenetiker oder Radiologen. Deshalb schließen viele Forscher und Biobanken dies von vornherein aus. Sie vereinbaren mit den Probanden oder Patienten, dass sie keine individuellen Ergebnisse mitteilen – auch dann nicht, wenn sie für den einzelnen medizinisch relevant sein könnten. Aus juristischer Sicht ist das vollkommen in Ordnung.

Was versteht man unter dem „Recht auf Nichtwissen“?

Taupitz: Das Recht auf Nichtwissen bedeutet, dass dem Betroffenen Erkenntnisse über ihn nicht ohne weiteres aufgedrängt werden dürfen. Das große praktische Problem besteht allerdings darin, dass man nicht einfach unterstellen kann, dass ein Betroffener entsprechende Ergebnisse nicht zur Kenntnis nehmen möchte. Um von seinem Recht auf Nichtwissen Gebrauch machen zu können, muss der Betroffene zumindest in Grundzügen wissen, was er nicht wissen möchte. Und die Vermittlung dieses Wissens kann schon sein Recht auf Nichtwissen verletzen.

Das klingt sehr kompliziert: in der Gegenwart zu wissen, was man in der Zukunft nicht wissen möchte.

Taupitz: In der Tat. Grundsätzlich sollte ein Proband oder Patient Ergebnisse kennen, die für ihn oder für genetisch Verwandte von erheblicher Bedeutung sind. Das betrifft insbesondere schwerwiegende Erkrankungen, die man therapieren oder gar verhindern kann. Schwieriger ist es, wenn es um eine nicht behandelbare Krankheit geht, Chorea Huntington zum Beispiel. Sie bricht mit Sicherheit nach dem 45. bis 50. Lebensjahr aus, und man kann nichts dagegen tun. Da ist es nicht leicht, die Frage zu beantworten, ob der Betroffene das wissen möchte oder nicht. Deshalb ist es so wichtig, vor einer Spende von biologischem Material zu vereinbaren, ob und welche möglichen Ergebnisse mitgeteilt werden sollen.

Gibt es gesetzliche Vorgaben für solche Einwilligungserklärungen?

Taupitz: Nein, die gibt es nicht. Deshalb verfassen wir im Arbeitskreis medizinischer Ethik-Kommissionen Mustertexte, die wir beispielsweise den Biobanken zur Verfügung stellen.

Biobanken arbeiten vorzugsweise mit dem „Broad Consent“. In welcher Art und Weise wird bei dieser Art der Einwilligungserklärung das „Recht auf Nichtwissen“ berücksichtigt?

Taupitz: Mit einem „Broad Consent“ vergibt ein Proband oder Patient eine „breite Einwilligung“: Das bedeutet, dass Wissenschaftler mit von ihm gespendeten Bioproben ganz verschiedene Forschungsprojekte durchführen dürfen. Das Recht auf Nichtwissen ist nur indirekt vom Broad Consent betroffen. Denn je mehr Forschungsthemen erlaubt sind, desto mehr Zusatzergebnisse können dabei herauskommen. Auch deshalb ist es besonders wichtig, mit dem Probanden oder Patienten zu vereinbaren, was mitgeteilt oder nicht mitgeteilt werden soll.

 

Das Interview führte Verena Huth.

Einen „Mustertext zur Spende, Einlagerung und Nutzung von Biomaterialien sowie zur Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten in Biobanken“ des Arbeitskreises Medizinischer Ethikkommissionen finden Sie hier.

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